Du glaubst, dass Du wieder zu Hause bist?
Einige Gedanken zur Heimkehr
Von Dennis White, Ph.D.
Aus dem Englischen von Andreas Pilz, ROTEX 1840


Erinnerst Du Dich noch an die paar Wochen als Du ins Ausland gingst? Erinnerst Du Dich noch, wie desorientiert Du Dich gefühlt hast, unabhängig davon, wie sehr Du versucht hast, Dich anzupassen? Diese Zeit der Anpassung hat vielleicht ein paar Wochen oder aber auch ein paar Monate gedauert, und sie war erst vorbei, als Du langsam begannst Dich anzupassen, zu wachsen und – kurz – Dich zu verändern. Obwohl dieser anfängliche kulturelle Schock nur genau dies war – ein Schock für Dein System – wissen wir genug über dieses Phänomen, so dass wir es erwarten und bis zu einem gewissen Maß auch darauf vorbereitet sind. Demzufolge überrascht es uns in der Regel nicht allzu sehr. Aber jetzt erwartet Dich eine neue Erfahrung. In den ersten paar Tagen, Wochen oder Monaten nach Deiner Heimkehr, vielleicht sogar sehr zu Deiner Überraschung, sammelst Du viele der gleichen Erfahrungen und Gefühle wie im Ausland. Tatsächlich erlebst Du einen „umgekehrten Kulturschock“ oder einen „Wiedereintrittsschock“, ein Phänomen, allseits betrachtet, aber manchmal schwerer zu handhaben als der erste Kulturschock. In den ersten paar Wochen zurück fühlen die meisten Leute die Effekte von Jetlag und allgemeiner Erschöpfung vom vielen Reisen, gefolgt von einer Überdosis an „Welcome-Home-Parties“, den Vorbereitungen für Schule oder Studium, usw. Aber Du magst vielleicht auch einige andere Gefühle erfahren, manchmal etwas hintergründiger, aber immer viel schwerer zu akzeptieren – und deshalb viel schwieriger damit umzugehen. Zuerst kommt ein beinahe überwältigendes Gefühl von Euphorie – ein natürliches Hoch, das daher kommt, dass Du an Plätzen warst, Dinge getan hast und komplexe Probleme gelöst hast, von denen die meisten Deiner Familie und Deiner Freunde nur träumen können. Und dennoch, dies kann ein starkes Gefühl sein, schwer auszuhalten oder zu erfahren, wegen einer zweiten Art von Gefühlen, die unter anderem Feindseligkeit gegen oder gar Zurückweisung der eigenen Kultur, den Wunsch wieder „zurück nach Hause“ (d.h. wo Du gerade herkommst) und ein allgemeines Depression einschließt, weil die Dinge nicht so sind, wie Du sie erwartest hast oder wie Du Dich an sie erinnerst. Um die zweite Art wesentlich unangenehmerer Gefühle wirklich zu verstehen, muss man zuerst etwas länger auf die erste Art sehen. Finde Dich damit ab, dass Du Dich in einer Art und Weise verändert hast, die Du wahrscheinlich nicht vollständig beschreiben oder gar verstehen kannst. In jedem Fall bist Du ein erfahrener Weltenbummler geworden – ja mehr noch, eine erfahrene bikulturelle Persönlichkeit. Du kommst tatsächlich in wenigstens einer anderen Kultur zurecht und bist nicht nur Tourist. In diesem Sinne bist Du ein Weltenbürger geworden und es mag ein bisschen verwirrend für Dich sein, wo nun „zu Hause“ wirklich ist. Ist Dir eines von den folgenden Dingen passiert: Denkst Du in Deiner neuen „Muttersprache“? Denkst Du, dass Deine Heimatstadt sehr, sehr klein ist? Redest Du mit Deinen Eltern über eine Deiner Gastfamilien und nennst Sie Mami und Vati? Du bist selbständig um die Welt gereist, was Deine Klassenkameraden in Deiner Heimatstadt nicht einmal in ihrem eigenen Land getan haben. Die vielen anderen unzähligen und genauso wichtigen Veränderungen, die Dur erfahren hast, sind substantiell wichtig aber zu viel um hier behandelt zu werden. Also, sei nicht zu überrascht, wenn Deine Familie und Freunde etwas unbehaglich Dir gegenüber fühlen; dem ist so, weil Du nicht mehr die Person bist, die sie vor einem Jahr verlassen hat. Also, während Du dich „high“ fühlst, wegen Deines Selbstvertrauens, Deiner Selbständigkeit und Deinem Internationalismus, scheint es so, als ob die Leute, die Du zuhause gelassen hast, Dir gegenüber eifersüchtig, wurschtig oder gar feindselig sind. Demzufolge kann es sein, dass Du die eine oder andere dieser vorher genannten negativen Emotionen spürst. Es gibt wahrscheinlich noch ein anderes Ereignis, das zu beachten ist, wenn es zu Deinem Unbehagen beiträgt, nachdem Du „zu Hause“ bist. Deine eigene Kultur und die Leute um Dich herum haben sich auch verändert. Obwohl die Art und Weise der Änderungen anders sind, warst Du nicht der/die einzige, der/die sich geändert hat. Diese Tatsache trifft uns vollkommen unvorhergesehen, weil wir es nicht erwarten; und selbst wenn wir es einsehen, möchten wir es doch verneinen. Viele heimkehrende Austauschschüler greifen nach den seltsamsten Dingen, um zu „beweisen“, dass alles noch haargenauso ist, wie sie es verlassen hatten. Tatsächlich aber haben vielleicht in dem vergangenen Jahr Deine Eltern einen anderen Beruf ergriffen, ist ein Verwandter gestorben, Deine Freunde haben sich andere Freundeskreise gesucht und Deine 15-jährige Schwester (die wahrscheinlich das ganze Jahr in Deinem Zimmer gewohnt hat) ist erwachsen geworden. Selbst die Aspekte Deiner Familie, Deiner Freunde und Deiner Kultur, die sich nicht geändert haben, erscheinen Dir ein einem ganz anderen Licht. Denk' dran, Du siehst jetzt die Welt in einem etwas anderen Licht. Deine Heimatkultur scheint Dir vielleicht materialistisch, von Sauberkeit besessen, unpersönlich, engstirnig oder in ewiger Hetze. Was passiert also, wenn Du nach Hause kommst? Wiedereintrittsschock!!! Dies wird mit Sicherheit sehr weit von Person zu Person variieren. Einige werden vielleicht sogar darauf bestehen, dass ihnen das nicht passiert ist oder passieren wird. Dies ist trotzdem eine einfache Ablehnung und Verneinung. Denk' daran, dass Du es vielleicht nicht erwartet hast, Du magst vielleicht nicht bemerken, wie sehr Du Dich verändert hast, und Du magst Dich zeitweise sehr unwohl mit diesen Gefühlen fühlen. Wenn Du all dem etwas Positives abgewinnen kannst, genauso wie Du Dich damit abgefunden hast, den „Oubound-Shock“ zu besiegen und daran zu wachsen, wird der ganze Prozess wesentlich sanfter vonstatten gehen. Tatsächlich ist es unter Leuten, die Austauschprogramme untersuchen eine weit verbreitete Annahme, dass je besser man sich an das Leben fern der Heimat anpasst – d.h. je positiver die Anpassung an eine fremde Kultur – desto schwerer wird der Wiedereintritt in die Mutterkultur. Zum Beispiel, wenn Du in einer Kultur, die Zuneigung wesentlich offenherziger zeigt, gelernt hast andere häufig zu berühren oder zu drücken, könnte es schwer sein, sich wieder an das anzupassen, was wie Zurückhaltung aussehen könnte. Was brauchst Du also, und was kannst Du tun, um Dir selbst über diese Erfahrung hinwegzuhelfen? Zuallererst, sei darauf vorbereitet! Finde Dich damit ab, dass einige oder alle dieser Dinge auch Dir passieren können und einige dieser –Aspekte davon sehr unangenehm sein können. Durch das Erwarten und Abfindung mit dem Wiedereintrittsschock kannst Du lernen, sie als Teil des Austauschprogramms zu akzeptieren. Oder anders formuliert: Dein Austausch ist noch nicht vorüber, bereite Dich auf weitere aufregende sechs Monate oder gar ein Jahr vor. (Viele zurückgekommene Austauschschüler, Freiwillige eines Friedencorps, usw. sagen, dass es nie aufhört – dass Du nie diese neue Perspektive verlieren wirst, um die Du Dich bereichert hast.) Zweitens – erzähle, erzähle, erzähle! Selbst auf die Gefahr hin, dass Du einen nahezu unablässigen Drang hast, über Deine Erfahrungen und Dich selbst zu reden (obwohl einige von Euch das Gegenteil erfahren, eine Zurückhaltung und Abneigung anderen Leuten „alles darüber“ zu erzählen). Manchmal ist es das Beste, andere gerade zurückgekommene Schüler oder welche die seit vielen Jahren zurück sind, zu finden. Diese wissen, dass Du das Gespräch brauchst. Tatsächlich solltest Du aufpassen, sie erzählen ggf. noch immer nach einigen Jahren. Anzeichen dafür sind, dass ehemalige Austauschschüler, Friedenskorp-Freiwillige, usw. diesen verträumten, glasigen Ausdruck in ihren Augen bekommen. Aber dennoch tu' es, erzähle, weil es teil des Prozesses ist, dass Du nicht nur anderen hilfst, Dich zu verstehen, sondern Du kannst lernen, Deine Gedanken und Gefühle zu ordnen und Dich selber besser zu verstehen. Drittens versuche nicht zu viele große Entscheidungen zu treffen, und sei nicht mit Dir selber ungeduldig, wenn Du merkst, dass Du Probleme hast, Entscheidungen zu treffen. Wegen der Veränderungen, die Du erfahren hast, und weil einige Dinge zu Hause anders oder nicht so wichtig sind, Vorstellungen von Deinem Leben, die Du noch vor einem Jahr hattest, sind nicht mehr so relevant für Dich. Erinnere Dich und Deine Freunde, dass Du gerade ein „Rebound“ bist und dass es etwas Zeit braucht, alles wieder ins Lot zu bringen. Viertens und letztens wundere Dich nicht allzu sehr, wenn Dein Wiedereintritts-Schock anders verläuft, wie hier beschrieben. Jede Deiner Erfahrungen im Ausland war einzigartig und genauso wir es Dein Wiedereintritt sein. Zum Beispiel war für viele von Euch das Auslandsjahr sehr, sehr hart. Du hast sehr daran gearbeitet, Dich anzupassen, aber viele von Euch haben nie die Wärme und Akzeptanz gefühlt, von der andere Exchangees berichtet haben. Das ist nichts besonderes, und an Dir ist nichts verkehrt. Wie Du schon weißt, war es trotzdem oder gerade weil eine sehr positive „wachstumsproduzierende“ Erfahrung, aber halt anders als das, was Du erhofft hast. Unter den vielen positiven Ergebnissen bereits in diesem Text aufgezeigt, ist einer, der zwar weit verbreitet scheint, aber nicht allgemeingültig ist, und zwar, dass Du in dem ersten Jahr zurück in Deinem zu Hause, Dich wesentlich enger zu Deinem nächsten Familienkreis verbunden fühlst, als je zuvor, und gleichzeitig wesentlich weitläufiger mit Deinen Freunden. Noch mal, wenn Du dieses Phänomen erwartest und akzeptierst, ist es vielleicht einfacher, sich darauf einzustellen. Schließlich wird der Weidereintritts-Schock nachlassen. Irgendwann wirst Du Dich mit Deinem neuen Ego und Deinem „neuen“ Heimatland einigen, unter der Tatsache, dass Du jetzt auch ein Mitglied wenigstens einer anderen Kultur bist. Du wirst lernen, mit wahrem Bi-Kulturismus zu leben. Und während Du vielleicht traurig akzeptieren wirst, dass D niemals wieder wirklich „nach Hause kommen“ wirst, kannst Du lernen, Dich wahrlich in der ganzen Welt „zu Hause“ zu fühlen.
Dr. Dennis White ist klinischer Psychologe und Mitglied des Sturgeon Bay, Wisconsin, USA Rotary Clubs. Er war Freiwilliger des Friedenskorps und hat in einer Vielzahl von internationalen Austauschprogrammen mitgearbeitet. Er assistiert in vielen Aspekten des Rotary Jugendaustauschprogramms im Distrikt 6220.